Vizcaytik bizkaira (1895) von Azkuetar Abadiak
Nach einer auch für uns ungewohnten Schließungsphase ist die Medienausleihe in der Bibliothek endlich wieder möglich! Es werden auch schon seit über einer Woche eifrig Monographien entweder vor Ort oder über die Fernleihe ausgeliehen. Entleihungen von Aufsätzen als Kopie oder in digitalisierter Form sind ohnehin schon länger wieder möglich.
Es gibt dennoch (mindestens) einen Bereich innerhalb der Bibliothek, der weiterhin nicht physisch zugänglich ist: unsere Sondersammlungen. Glücklicherweise sind viele der Materialien digitalisiert und auch online verfügbar. Seien es Zeitschriften, Plakate, Nachlässe, Fotografien oder Glasplatten: die Recherche lohnt sich, denn es gibt immer Spannendes zu entdecken!
Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive z.B. könnte es eine*n interessieren, welche Minderheitensprachen in unserem digitalisierten Bestand repräsentiert sind. Minderheitensprachen sind hier als ein sicherlich nicht ganz zufriedenstellender Oberbegriff zu verstehen, unter dem u.a. Regionalsprachen und indigene Sprachen zusammengefasst werden.
Zarzuela auf Katalanisch (L’aplech de l’alegria, 1900) und Zeitschrift Céltiga (1929)
Europäische Regionalsprachen — im Sinne von Sprachen mit regional begrenzter Reichweite, die jedoch in diesem Kontext einen offiziellen Status haben — lassen sich tatsächlich relativ leicht finden: Mit dem Sprachcode „cat“ als Suchbefehl lassen sich z.B. alle katalanischsprachigen Einträge (allerdings nicht ausschließlich solche) herausfischen. Ein großer Teil davon wurde im 19. Jahrhundert veröffentlicht und fällt somit in die Zeit der Renaixença. Der Terminus bezeichnet einen Prozess der kulturellen Aufwertung, der zur heute wieder starken Position des Katalanischen in Katalonien und den Balearen zumindest mit beigetragen hat. Unter den Musikalien finden sich jedoch auch jüngere Beispiele: Eine Ausgabe von El giravolt de maig von 1965, eine Operette von José Carner, in der nicht nur der Gesang, sondern auch die Regieanweisungen und viele Paratexte auf Katalanisch verfasst sind. Auch wenn die schlimmsten Zeiten der Repression sicherlich in die erste Hälfte der Franco-Diktatur fallen, ist das dennoch bemerkenswert. Immerhin wurde noch 1968 der Grand–Prix-Teilnehmer Joan Manuel Serrat, der Spanien im Wettbewerb repräsentieren sollte, durch Massiel ersetzt, da er sich weigerte auf Spanisch zu singen.
Es fällt jedoch auf, dass viele Texte in Regionalsprachen gar nicht im Mutterland publiziert wurden, sondern vielmehr von Exil-Communitys in Lateinamerika. Dies wird deutlich an der argentinischen Zeitschrift Céltiga (1926-1931), in der neben den größtenteils spanisch- auch galicischsprachige Texte (vor allem aus der lyrischen Gattung) zu finden sind. Vertreten sind jedoch auch solche, die sich durchaus als Manifest lesen lassen, wie z.B. Da renacencia galega: Unha volta por Portugal, im dem der Autor die sprachlich-kulturelle Kontinuität zwischen Galicien und Portugal hervorhebt, sich also durchaus im Sinne des reintegracionismo positioniert.
Tarumá-guazú, leyenda guaraní und Vocabulario en lengua Quiche Otlatecas.
Wenig überraschend, aber dennoch wichtig festzustellen ist, dass indigenen Sprachen in diesen Publikationen nur eine marginale Rolle zukommt. Präkolumbische Kulturen und deren Produkte (seien es Baudenkmäler oder Mythologien) werden hier als historische Relikte anthropologisch seziert, vielfach aber auch für die Konstruktion nationaler Identitäten instrumentalisiert, also zur Unterstreichung der nationalen Eigenheiten innerhalb Lateinamerikas. So lassen sich durchaus Artikel wie Los calendarios del antiguo México (Cosmos, 1913) oder Piska (Leyenda quichua) (El Hogar, 1929) finden, Texte in indigenen Sprachen bilden aber die absolute Ausnahme. Afrikanische Sprachen — die ja zumindest in Brasilien und dem karibischen Raum kulturhistorisch bedeutsam sind — finden nicht einmal Erwähnung.
Text auf Guaraní (Ñanderetá ñeeme in Fray Mocho, 1924) und Lied in einer Maya-Sprache (Los Xtoles in Mexican Folk-ways, 1933)
Dass das Zielpublikum i.d.R. europäisch(stämmig) ist, lässt sich auch daran erkennen, dass sogar Sprachen vertreten sind, deren Status als Sprache zwar umstritten, die aber eindeutig im Kontext europäischer Immigration entstanden sind. Ohne die Frage abschließend klären zu müssen, ob Lunfardo als „Gaunersprache“ und Cocoliche nun als Pidgin, Kreol oder lediglich eine (oder mehrere) Kontaktvarietät(en) zu begreifen sind, kann man bequem, von Zuhause aus gleich mehrere Beispiele dafür begutachten.
Eine intensivere Recherche könnte möglicherweise auch noch andere interessante und vielleicht sogar überraschende Erkenntnisse zutage fördern. Insofern könnte man diesen Beitrag durchaus als work in progress betrachten. Er ist aber auch ein Aufruf zur Exploration!