Gastbeitrag von Nicolas Bock
Von der portugiesischen Kolonie Goa bis hin zum Kap Hoorn – in der Kartensammlung des IAI findet man neben aktuellen Karten und Plänen auch viele historische Karten. Die Kartensammlung des IAI umfasst ca. 1.500 Atlanten sowie 74.000 gedruckte Karten. Von diesen fallen 2.400 in den Bereich der historischen Karten bis zum Jahre 1850. Die meisten dieser Karten sind mittlerweile über die Digitalen Sammlungen zugänglich. Die Relevanz der Kartensammlung des IAI hat mehrere Gründe. So kann man anhand der Karten nicht nur historische Prozesse der Entdeckungen, Landvermessung und Kolonisation nachvollziehen, sondern auch politische Entwicklungen und Einflüsse der vergangenen Jahrhunderte beobachten.
Ein interessantes Beispiel hierfür sind die historischen Karten Nicaraguas. Das zentralamerikanische Land erkämpfte sich im Jahre 1838 die Unabhängigkeit der Kolonialmacht Spanien und der postkolonialen Nachfolgestaaten, musste sich in den folgenden beiden Jahrhunderten jedoch fortwährend gegen die Einflussnahme Großbritanniens und der Vereinigten Staaten erwehren. Diese zeigten besonderes Interesse am Bau eines interozeanischen Kanals, welcher zwar schlussendlich durch Panama gezogen wurde, ursprünglich jedoch durch Nicaragua führen sollte. Zeugnisse dieser Pläne sind unter anderem im Kartenarchiv des IAI zu finden.
Die abgebildete Karte entstand nach der Zentralamerikareise des britischen Gesandten George Alexander Thompson im Jahre 1825 und zeigt Nicaragua in seinen Grenzen zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Beachtenswert ist hierbei, dass der Brite die Costa de Mosquitos, die Karibikküste des Landes, außerhalb der Grenzen Nicaraguas beließ. Während des gesamten 19. Jahrhunderts war dieser Küstenabschnitt ein hegemonialer Streitpunkt zwischen Nicaragua, Großbritannien, den USA sowie den dort sesshaften indigenen Völkern, der zu Interventionen, Annexionen und kleineren Kriegen führte. Ein weiteres bemerkenswertes Detail findet man im Karteneinschub unten links: dort wurde eine Art „hypothetische Karte“ gezeichnet, die den bis heute nicht existierenden Durchbruch zwischen Nicaraguasee (Lago Cocibolca) und Pazifik zeigt und Aufschluss über die geopolitischen Absichten der Kolonialmacht und den Zweck der Reise Thompsons durch das Zentralamerikanische Land gibt. Diese werden sowohl durch den zugehörigen Kartentext, als auch durch den Reisebericht Thompsons an die Krone ersichtlich. Dieser Bericht Narración de una visita oficial a Centroamérica en 1825 ist in der Bibliothek des IAI verfügbar. Auch wenn der Kanalbau, wie unter anderem in dieser Karte von Thompson dargestellt, bis heute nicht vollendet wurde, blieb er im Zeitalter des aufkeimenden Imperialismus aktuell. So zeichnete William R. Palmer vom U.S. Coast Survey der Vereinigten Staaten Jahre 1856 eine nahezu gleich verlaufende Route durch seine Karte Nicaraguas:
Neben der von Thompson vorgeschlagenen Route Rio San Juan – Nicaraguasee – Puerto San Juan zeichneten die Kartographen jedoch noch eine weitere mögliche Route über den kleineren Managuasee (Lago Xolotlan) bis zum Fonseca-Golf in Nicaraguas Norden ein. Schwer lesbar, jedoch bei genauerem Hinsehen neben den betreffenden Karteneinschüben erkennbar, befinden sich die beiden Erläuterungen zum geplanten Routenverlauf. Für die USA war der Bau des Interozeanischen Kanals von hoher Bedeutung, da er der US-Schifffahrt eine schnellere Route New York – San Francisco ermöglicht hätte. Bis zum Bau des Panamakanals konnten die Schiffe nur die langwierige Strecke über das Kap Hoorn befahren, die einmal um den gesamten Kontinent herumführte.
Bis heute haben sich die Pläne zum Bau eines Interozeanischen Kanals als Abkürzung für die Schifffahrt in Nicaragua gehalten: Seit 2013 plant die nicaraguanische Regierung, den Kanal in Kooperation mit China zu bauen. Die historischen Pläne, mitsamt den geopolitischen Ent- und Verwicklungen, sind in den Landkarten der Sondersammlungen im IAI erhalten und machen die Kartensammlung somit zu einem einzigartigen Mittel der geopolitischen und historischen Dokumentation sowie der Forschung.