Populärliteratur & populäre Kultur
Der Begriff der Populärliteratur wird traditionell von der „Literatur“ (in Großbuchstaben) abgegrenzt, die der so genannten Hochkultur zugerechnet wird. Diese auf Wertmaßstäben basierenden Unterscheidungen scheinen dem aktuellen Stand der Studien zur Populärliteratur, in denen die Lesepraktiken, die ein Werk als populär kennzeichnen, hervorgehoben werden, nicht angemessen zu sein. In der Tat „bezeichnet das Populäre eine Art von Beziehung, eine Art der Verwendung von Objekten oder Normen, die in der Gesellschaft zirkulieren“ (Amar Sánchez 1997:11).
Für Elena Esposito (2014) hängt die Charakterisierung eines Textes oder eines kulturellen Objekts als Kunstwerk oder als banales Unterhaltungsobjekt nicht von seinen inneren Merkmalen ab, sondern von den Besonderheiten des Interpretationsrahmens, in den die Lektüre eines Werks eingebettet ist, d. h. davon, wie ein Werk rezipiert wird. In der Tat sind es die kulturellen Praktiken, in die ein Werk eingebettet ist, die bestimmen, ob es als populär wahrgenommen wird. Das Etikett „populär“ stammt nicht von der populären Literatur selbst (Huck 2014: 44).
Charakteristisch der Kommunikationsdynamik von Populärliteratur ist die Adressat:innen: sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht unbedingt die Möglichkeit oder das Interesse haben, sich aktiv an der kommunikativen Situation zu beteiligen, in die sie eingetaucht sind. Des Weiteren zielt die Populärliteratur darauf ab, ein breites Spektrum von Menschen, die breite Öffentlichkeit, anzusprechen. Populärliteratur benötigt Popularität und kommerzieller Erfolg, der durch suggestive Genres (Horror, Intrige, Liebe) leicht verständliche Sprache und sich wiederholende Situationen, um Aufmerksamkeit zu erregen und den Konsum des betreffenden Objekts zu gewährleisten.
In einem Versuch, den Begriff der Populärliteratur zu definieren und ihm vom Begriff der Volksliteratur abzugrenzen, stützt sich Huck (2014) auf die medialen Besonderheiten und Ansprüche beider: Während die Volksliteratur auf Mündlichkeit als Übermittlungsmedium einer Sammlung von Texten beruht, die ein Volk repräsentieren und deren Absender und Adressat das Volk selbst ist, gehört die Populärliteratur: „zum Paradigma der Schriftlichkeit. Sie ist auf Verbreitung angelegt; sie mag allgemein ansprechende Themen aufnehmen, aber sie ist von Einzelnen (bzw. kleinen Gruppen) für viele produziert worden“ (Huck 2014: 45). Ihre Zugehörigkeit zum Bereich der Schriftlichkeit stabilisiert den betreffenden Text und erleichtert seine Reproduktion und Verbreitung, wobei diese Aspekte für die kommerziellen Interessen dieser kleinen Gruppen, der Herausgeber: innen, von zentraler Bedeutung sind. Gewiss, externe Faktoren wie die chemischen Fortschritte bei der Papierherstellung, die Urbanisierung, die Zunahme der Alphabetisierungsrate in den großen urbanen Zentren sowie das Verlangen der Massen nach Konsum und Unterhaltung erlauben es uns, das Phänomen der Populärliteratur als ein Kind der Technologie zu charakterisieren, d. h. als Ergebnis der Technologisierung, insbesondere im Zeitraum der zweiten industriellen Revolution. Dies ermöglicht es, die Auswirkungen und Einflüsse zu beleuchten, die die Entwicklungen außerhalb der literarischen Sphäre auf das System der Populärliteratur haben. Baetens (2012) definiert sie als eine kulturelle Form, d. h. als „eine Praxis, ein aktives Netzwerk menschlicher und nicht-menschlicher Akteure (Objekte, Maschinen, Verhaltensweisen, Regeln, Institutionen usw.), in dem die Produktion von Werken und Werten wichtiger ist als die konkrete Produktion“ (338).
In Genres, die typischerweise mit Populärliteratur assoziiert werden, wie z. B. Western, Kriminalromane oder Liebesromane, lassen sich leicht etablierte Muster erkennen (Figurenkonstellationen, die Situationen, in denen die Protagonisten sich befinden, archetypische Themen und Motive), die von den Hersteller:innen dieser Produkte immer wieder verwendet werden. Auch die visuelle Gestaltung der Einbände steht im Einklang mit dem Inhalt des jeweiligen Produkts: Eine düstere und schaurige Bildkomposition, wahrscheinlich mit Totenköpfen verziert, ist zum Beispiel auf dem Einband eines Kriminalromans zu erwarten. Dies erlaubt es uns jedoch, zwei grundlegende Aspekte der Populärliteratur anzusprechen: Erstens sind ästhetische Ambitionen für das Projekt der Populärliteratur optional, die wiederholte Verwendung vorgegebener Schemata, die sich bereits in der Vergangenheit als kommerziell erfolgreich erwiesen haben und somit den Erfolg des Werks garantieren, haben größere Bedeutung. Zweitens weisen die Schemata und Formeln zusammen mit den redaktionellen Entscheidungen (Umschlag, Typografie usw.) das Publikum sehr gezielt auf die Art des Textes hin, den es vor sich hat. Diese Strukturen legen sowohl die Richtlinien für die Produktion als auch für den Konsum fest (Huck 2014: 48).
Die Populärliteratur wird als eine Literatur der Herausgeber:innen charakterisiert, die dank ihres Verständnisses für den Geschmack eines breiten Publikums Verlagsprojekte durchführen, die dessen Bedarf an Lesestoff erfüllen. Die Bedingung, die die Existenz der Populärliteratur bestimmt, ist also die Neuheit (Baetens 2012, 338), was nicht notwendigerweise Innovation bedeutet; es geht darum, neue Objekte aus Strukturen und Ressourcen zu schaffen, die bereits mit bestimmten Rahmungen verbunden sind. Nach Baetens ist es innerhalb der populären Genres leicht, neue Produkte mit bereits etablierten Formeln und Strukturen zu vergleichen. Innerhalb eines übervollen und gesättigten Verlagsmarktes ist es notwendig, den Verbraucher:innen stets etwas Neues zu anzubieten. Um dies zu erreichen werden vor allem zwei Mechanismen verwendet: Serialisierung und Adaption (Baetens 2012, 339). Ersteres ist durch die wiederholte Anwendung einer „Erfolgsformel“ gekennzeichnet, d. h. durch die mehrmalige Wiederholung einer Strategie, die sich bereits als kommerziell erfolgreich erwiesen hat. Die Adaption schließlich bezieht sich auf die Umwandlung eines bestimmten Werks in ein anderes Medium (z. B. von einem Roman in einen Film): Es handelt sich um intermediale Bezüge, einen Mechanismus, der in kommerzielle Netzwerke eingefügt wird und den Zugang zu einem noch breiteren Publikum ermöglicht.
Die populären Medien bieten eine „zweite Realität“ an, die „nicht existiert, die der Leser oder der Zuschauer [jedoch] in ihrer ganzen Komplexität untersuchen kann“ (Esposito 2014:16). Diese fiktionale Realität wird als eine mögliche Welt charakterisiert, die strukturierter und transparenter ist als die empirische Welt, die das Publikum umgibt, und die stets wiedererkennbaren Elemente enthält. Das Interesse am Konsum dieser Fiktion liegt in der Möglichkeit der Flucht aus dem Alltag und im Eintauchen in die dabei jeweils erwünschten Szenarien.
Literatur
Amar Sánchez, A. M. (2000). Juegos de seducción y traición: literatura y cultura de masas / Ana María Amar Sánchez. (1. ed.). Viterbo.
Baetens, J. World literature and popular literature: toward a wordless literature? (2012). In The Routledge Companion to World Literature (pp. 358–366). Routledge. https://doi.org/10.4324/9780203806494-41
Esposito, E. (2014). Popularität. In Kommunikation im Populären (pp. 15–20). Transcript Verlag. https://doi.org/10.1515/transcript.9783839418338.15
Huck, C. (2014). Was ist Populärliteratur? Oder doch eher, wann ist Populärliteratur? In Kommunikation im Populären (pp. 43–66). Transcript Verlag. https://doi.org/10.1515/transcript.9783839418338.43