Comics#8*: Adiós Superhéroes, bienvenidxs Superqueeroes – Queere Comics im IAI

Superqueeroes – so nannte 2016 das Berliner Schwulenmuseum seine erste Ausstellung zu LGBTI*-Comic-Held*innen, die Geschichten jenseits des heteronormativen Comic-Mainstreams zeigte. Hier standen Figuren im Mittelpunkt, die auch Transgender, bisexuell, lesbisch oder schwul sein dürfen, und zu Held*innen werden, indem sie die gängigen gesellschaftlichen Vorstellungen von sexueller Orientierung, Geschlechter-identitäten und Körperidealen hinterfragen. Leicht ist dieses Unterfangen keineswegs, denn bis heute müssen sich Zeichner*innen queerer Comics nicht nur gegen Diskriminierung und Repression behaupten, sondern sich auch in einem Markt durchsetzen, der sich in erster Linie an ein weißes, heterosexuelles und männliches Publikum richtet. Grund genug, um im letzten Beitrag unserer kleinen Comicreihe auch denjenigen Raum zu geben, die sich für eine gesellschaftliche Anerkennung queerer Personen engagieren – und hierfür auf das Medium Comic zurückgreifen. Wir verabschieden unsere Comic-Reihe also mit * und stellen einige Publikationen aus der Bibliothek des IAI vor, die sich Superqueeroes widmen.

Spätestens beim Aufschlagen dieser Werke wird deutlich: Die Themen, Publikationsformen und Bildsprache sind mindestens so divers wie die Künstler*innen, die dahinter stehen. Der argentinische Künstler IOSHUA erschafft beispielsweise in seinem Werk „Cumbiagei. Comic XXX Para vos wachín“ (2011) ein „Universum für einsame, verliebte… heiße aber auch sehr traurige und deprimierte Pibes“. rHnkSPzKE7QwjD3xXibO

Die Geschichten seines Barrios erzählt er auf eine Weise, die an die homoerotischen Illustrationen des finnischen Künstlers Tom of Finland, einer der Ikonen der schwulen Comic-Szene, erinnert. Indem IOSHUA homosexuellen Sex provozierend unverfälscht zeigt und zugleich seine Pibes auch „Te amo“ sagen lässt, löste der Künstler laut der Soziologin Anahi Castello einen identitären Boom bei jüngeren Schwulen in Argentinien aus und entwarf zugleich ein Gegenmodell einer Generation, die aufgrund ihrer ärmlichen Herkunft kriminalisiert und nEy871JUbkSNfgbJHy_0von den Mainstream-Medien als „Pibe Chorros“, also männlich, mit dunkler Hautfarbe und gewalttätig dargestellt wurde. IOSHUA beschreibt sie deshalb auch als große Entdeckung der zeitgenössischen Gegenkultur in Argentinien.

Diese so genannten Gay-Comics erschienen lange nicht in den etablierten Comicverlagen. Ähnlich wie in den USA, wo ab den späten 1960er Jahren Geschichten zu Coming-Out und homosexueller Liebe abseits des (selbst-)zensierten Mainstreams in von Klein- und Selbstverlagen veröffentlichten Comics und Fanzines erschienen, griffen auch schwule lateinamerikanische Comiczeichner auf diese Underground Comix zurück. Der 2015 verstorbene IOSHUA veröffentlichte zunächst in der Zeitschrift Revista Setro und dann beim Kleinverlag „wachodelacalle ediciones  homo cabeza y milena casarola“. Diese inklusiv ausgerichteten, unabhängigen und auf Diversität setzenden Verlage gewinnen zunehmend an Popularität: Der alternative Verlag Nulu Bonsai verlegte beispielsweise 2015 auf 695 Seiten die abgeschlossenen Werke IOSHUAS und der chilenische Comiczeichner Gabriel Ebensperger veröffentlichte seinen autobiografisch angelegten Comic „Gay Gigante“ bei dem in den 1990er Jahren gegründeten Verlag Catalonia.

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Doch auch auf staatlicher Ebene tut sich etwas, zumindest in Argentinien, wo der argentinische Senat 2010 die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare verabschiedet hat. 2017 veranstaltete die Área de Diversidad Sexual Rosario, eine Arbeitsgruppe des Sekretariats für Soziale Entwicklung in derselben Stadt, einen nationalen Wettbewerb für LGTBI*-Comics, an dem sich Frauengruppen, Transgender, Bisexuelle, Lesben und Schwulen beteiligten. Diese erste nationale Kompilation zu LGTBI*-Comics bricht auch mit einer historischen Tradition in Argentinien, wo unter dem Label „Sexuelle Diversität“ lange nur Gay-Comics gefasst wurden. In der Anthologie sind dagegen zahlreiche Geschichten zu finden, die nicht nur das „G“ in LGTBI repräsentieren, sondern die Grenzen der bipolar gedachten Comicwelt aufbrechen. In „Receta para hacer una Drag Queer“ stellen der Texter Lucas Fauno Gutiérrez und die Zeichnerin Maia Debowicz beispielsweise heteronormative Schönheitsideale aber auch Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in Frage: Da geht es nicht mehr länger nur darum, das als weiblich Markierte im Mann zu entdecken, sondern das binäre System aufzubrechen: „Bewegungen haben kein Geschlecht“ heißt es beispielsweise beim „Rezept für ein*e Drag Queer“.

„Historia LGTBI“ zeigt, dass die Comic-Szene inklusiver und diverser geworden ist. Im Zuge der Diskussionen über sexuelle und geschlechtliche Diversität erhalten auch Zeichnerinnen größere Aufmerksamkeit, die in dem  männlich dominierten Feld lange unsichtbar blieben. Künstlerinnen aus unterschiedlichen Ländern vernetzen sich beispielsweise in Künstlerkollektiven wie „Chicks on Comics“ und „Tetas Tristes Cómics“ oder veröffentlichen gemeinsam. Ein Beispiel ist die argentinische Zeitschrift mit dem  Namen „Clítoris“, die erstmalig 2010 in Buenos Aires erschien. In der 2017 beim Kreativverlag Hotel de las Ideas erschienenen ersten Anthologie „Clítoris. Sex(t)ualidades en viñetas“ stehen vor allem (aber nicht nur) Frauen im Fokus: Hier geht es um Sexarbeit, gesellschaftlich kontrovers diskutierte und tabuisierte Themen wie Abtreibung, Schönheitsideale oder Sex im Rollstuhl.

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Mit dem Internet sind die Möglichkeiten zur künstlerischen Entfaltung queerer Comic-Zeichner*innen merklich gewachsen. Besonders in den USA hat sich eine queere Latinx-Comicszene entwickelt, deren Künstler*innen zunehmend den Mainstream erobern. Der schwule puerto-ricanisch-US-amerikanische Zeichner Ivan Velez Jr. war mit „Tales of the Closet“ einer der Ersten, der das alltägliche Leben von LGTBI*-Jugendlichen beschrieben hat. Mittlerweile hat er bereits für Marvel Comics gezeichnet und arbeitet als Teaching Artist an der New York Public Library. Und die ebenfalls in der Bronx geborene, queere Latinx-Künstlerin Gabby Rivera hat mit „América Chavez“ die erste queere Latinx-Figur im Marvel-Universum geschaffen.

Dies waren nur kleine Ausschnitte aus einer Szene, die in Zukunft noch weiter wachsen wird. Sind Comics zu queeren Themen gegenüber „Klassikern“ noch unterpräsentiert, so kann das Massenmedium „Comic“ längst nicht mehr als Marginalbestand in Bibliotheken bezeichnet werden. Zumindest im IAI, wo nun bereits seit mehreren Jahren Comics in unterschiedlichen Publikationsformen, auch aus der Underground Comix-Szene, gesammelt werden. Bei der Erwerbung von (queeren) Comics und Forschungsliteratur zu diesem Thema sind aufgrund der mittlerweile hohen Zahl an Kreativverlagen und Comic-Kollektiven auf Ihre Hilfe angewiesen. Falls Sie also zu (queeren) Comics in Lateinamerika forschen und entsprechende Literatur vermissen und/oder in Lateinamerika veröffentlichte Comic-Reihen zu LGTBI*-Themen kennen, dann können Sie uns gerne über das Erwerbungsformular https://fid-lateinamerika.de/erwerbungsvorschlag/ oder über fid@iai.spk-berlin.de kontaktieren. Diese Kanäle können Sie selbstverständlich auch nutzen, wenn Sie allgemeine Fragen haben oder auf neue Forschungsfelder zu Lateinamerika, Karibik und Latino Studies aufmerksam machen wollen.

Links

http://www.buenosairesinclusiva.com.ar/uncategorized/solo-contra-todxs/

http://queercomicsdatabase.com/other_rep/queer-latinx-character/

https://www.fundacionarkhe.com/fondosarchivoqueer

http://agenciapresentes.org/2017/05/26/lanzan-concurso-nacional-historieta-lgbti-argentina/