Sieben Tage – vom 24. April 2019 bis zum 2. Mai 2019 – war Britta Steinke, Bibliotheksreferendarin im IAI, gemeinsam mit Dr. Christoph Müller, Leiter des Referats Digitale Bibliothek und IT-Infrastruktur und Länderreferent für u.a. Kolumbien und Zentralamerika, in der kolumbianischen Hauptstadt, um Medien für die Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts zu erwerben. Von ihren Erfahrungen berichtet sie uns heute in einem kurzen Interview:
Britta, du warst zur Erwerbungsreise in Bogotá. Wie sah denn Euer Terminplan aus? Welche Institutionen habt Ihr während des siebentägigen Aufenthalts besucht?
Die wichtigste Anlaufstelle war, ähnlich wie in den Jahren zuvor, die Buchmesse in Bogotá, die 32. Feria Internacional del Libro de Bogotá (FILBo). Mit über 500 Aussteller*innen aus Kolumbien und anderen Ländern zählt die FILBo zu den wichtigsten Buchmessen in Lateinamerika und der Karibik. Vier Tage haben wir dort verbracht, Gespräche mit Verlagsvertreter*innen geführt und zahlreiche Medien erworben. Hat sich die Reise schon allein wegen des großen Angebots der Buchmesse gelohnt, so waren wir zudem in zwei Buchhandlungen im Stadtteil Palermo: „Casa Tomada“ und „La Valija del Fuego“. Der Besuch in diesen kleinen unabhängigen Buchhandlungen war durchaus besonders. Auf den ersten Blick hätte ich dort keine Buchhandlungen erwartet. Die alternativ, fast punkigen Verkaufsräume passten dann sehr gut zu deren Medienangebot, das eine große Anzahl an Underground-Comics und Fanzines, also in Klein- und Selbstverlage entstandene Medien, einschließt. Über 240 Fanzines und Comix konnten wir in den beiden Buchhandlungen für das IAI erwerben!
Selbstverständlich durfte bei dieser Erwerbungsreise auch ein Besuch in den beiden wichtigsten Bibliotheken des Landes nicht fehlen: Einen Nachmittag haben wir in der Biblioteca Luis Ángel Arango verbracht, die mit Niederlassungen in allen kolumbianischen Departamentos als die größte öffentliche Bibliothek in Lateinamerika und der Karibik gilt. Auch die Biblioteca Nacional de Colombia, die älteste Nationalbibliothek Lateinamerikas, haben wir besucht. Beide Bibliotheken sind wichtige Tauschpartnerinnen des IAI und überlassen uns einmal im Jahr ihre Dubletten. Im Falle der Nationalbibliothek betrifft dies vor allem Publikationen von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie wissenschaftliche Publikationen, die von der Biblioteca Luis Ángel Arango abgegebenen Medien sind indes ungewöhnlicher: regionale und lokale Tageszeitungen. Insgesamt konnten wir so mehr als 600 Medien im Tausch für das IAI gewinnen.
Das klingt ja nach einer abwechslungsreichen und vielseitigen Erfahrung, aber auch nach einem straffen Programm. Die Vorstellung, dass man bei einer solchen Erwerbungsreise gemütlich über kolumbianische Buch- und Flohmärkte schlendert und bei kolumbianischem Kaffee und Süßspeisen über den nächsten Ankauf diskutiert, ist also irreführend?
Ja, definitiv. Zwar gab es durchaus auch Pausen mit Kaffee und Kuchen, doch von Gemütlichkeit kann keine Rede sein. Das Vorurteil, dass diese Reisen eher eine Urlaubs- als eine Dienstreise darstellen, ist also falsch. Diese Aufenthalte werden ja schließlich mit Steuergeldern finanziert – und die Zeit, die wir in den unterschiedlichen lateinamerikanischen Ländern verbringen, muss optimal für den Erwerb von Medien genutzt werden, die in Deutschland noch nicht zur Verfügung stehen. Dementsprechend sind die Aufenthalte immer extrem eng durchgetaktet und bedürfen bereits im Vorfeld einer sehr guten Vorbereitung. Termine müssen gemacht und Absprachen getroffen werden. Einen großen Anteil am Gelingen der Reise haben auch die Mitarbeiter*innen des Medienreferats, die bereits Wochen zuvor die für die Reise unerlässlichen Bücherprüflisten erstellen und Angebote der kolumbianischen Buchhändler vorprüfen. Die Herausforderung vor Ort ist dann in kurzer Zeit das enorme Angebot dahingehend zu prüfen, ob die Bände bereits im Bestand des IAI verzeichnet sind. Konkret sieht das dann so aus, dass wir, im Falle der Buchmesse, die Kataloge bei den Verlagen abholen und die Listen an unserem Bestand überprüfen. Bei Erwerb muss kontrolliert werden, ob die „richtigen“ Bücher für den Kauf bereitgestellt werden. Die neu erworbenen Bücher werden dann vor Ort bezahlt und eingepackt bei den Händlern zwischengelagert, wo sie dann von unserem Exporthändler abgeholt und nach Deutschland verschickt werden. Im Falle der Nationalbibliotheken und der kleineren Buchhandlungen sind es dann regelrecht Bücherberge, die in kürzester Zeit überprüft werden müssen.
Diese Erwerbungsreisen sind ja im Vergleich mit den Erwerbungswegen anderer Bibliotheken durchaus eine Besonderheit. Diese setzen vor allem auf so genannte Blanket Order-Verträge mit Buchhändler*innen, die dann die Literaturauswahl für die Bibliothek übernehmen. Diese Prozesse laufen dann zumeist online ab. Provokant ausgedrückt: Sind angesichts der digitalen globalen Vernetzungsprozesse solche Erwerbungsreisen noch notwendig?
Zunächst einmal: Medien gelangen auf unterschiedlichen Erwerbungswegen ins IAI. Wie andere Bibliotheken hat auch das IAI Blanket Order-Verträge mit Exporthändlern abgeschlossen, die über den Büchermarkt in den jeweiligen Ländern bestens informiert sind und die Literaturauswahl vor Ort vornehmen.
Die Erwerbungsreisen sind jedoch aus unterschiedlichen Gründen unerlässlich: Zum einen funktioniert das Buch- und Verlagswesen in Lateinamerika anders als in Deutschland. Während die Deutsche Nationalbibliothek die in Deutschland publizierten Neuerscheinungen erfasst und in der Deutschen Nationalbibliographie verzeichnet, fehlt es in den lateinamerikanischen Ländern an einem zentralen Nachweisinstrument. Somit gibt es immer wieder auch Publikationen, die dem Radar der Buchhändler*innen entkommen und die während des Besuchs bei der Buchmesse erworben werden können. Hinzu kommt der sehr gute Einkaufsrabatt, der stets zwischen 20 – 30 % liegt. Erwerbungsreisen sind aber auch deshalb wichtig, da bestimmte Medien nur vor Ort angeschafft werden können: Das betrifft antiquarische Bestände, aber auch neuere Medienformen, die auf dem Büchermarkt schnell vergriffen sind. Dazu zählen beispielsweise die eben genannten Fanzines. Und letztlich ist der Kontakt vor Ort auch deshalb wichtig, um die internationale Vernetzung des IAI zu stärken. Neben dem Medienerwerb haben wir wichtige Gespräche mit den Verantwortlichen der Bibliotheken und Verlagen geführt. Im Rahmen der Buchmesse wurde zudem der kürzlich erschienene, von Christoph Müller und Ricarda Musser, Leiterin des Medienreferats und Fachreferentin u.a. für Brasilien, Chile und Mexiko herausgegebene Band „De la pluma al internet. Literaturas populares latinoamericanas en movimiento (siglos XIX-XXI).“ vorgestellt: Dieser von der DFG im Rahmen des Exzellenzclusters Interdisziplinäres Labor Bild Wissen Gestaltung im Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität zu Berlin geförderte Tagungsband ist als Ko-Edition des IAI mit dem Verlag der Universidad EAFIT in Medellín entstanden und beschäftigt sich mit lateinamerikanischer Populärliteratur und den Möglichkeiten und Herausforderungen ihrer Digitalisierung. An der Diskussion nahm auch Juan Pablo Siza (Foto) teil, der an der Biblioteca Luis Ángel Arango das Digitalisierungszentrum leitet.
Was waren denn deine Höhepunkte bei dieser Reise?
Eine besondere Erfahrung war es für mich, das große Interesse in Kolumbien an der Buchmesse zu erleben. Diese Veranstaltung hat 605 000 Besucher*innen aus allen Altersklassen und sozialen Gruppen angelockt. Besonders stark waren die 20-30 Jährigen vertreten, was mir in Deutschland anders zu sein scheint. Ein weiterer Höhepunkt war für mich der Besuch beim Digitalisierungszentrum der Biblioteca Luis Ángel Arango, dessen Leiter sich die Zeit genommen hatte, mir seine Arbeit zu zeigen. Eines dieser Projekte ist beispielsweise das Digitalisierungsprojekt zu den Reisen des spanischen Schriftstellers José María Gutiérrez de Alba, an dem deutlich wird, was im Bereich der Digital Humanities alles möglich ist. Neben der Digitalisierung der Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert haben die Kolleg*innen der Biblioteca Luis Ángel Arango auch computergestützte quantitative Textanalysen vorgenommen sowie Animationen, Infografiken und Webanwendungen zur Darstellung von Suchergebnissen dargestellt. Die Reisen des spanischen Schriftstellers lassen sich so auch visuell bei GoogleMaps nachvollziehen.
Was hast Du als Herausforderung bei der Reise empfunden?
Häufig unterschätzt man die körperliche Belastung dieser Reisen. Wie beschrieben, müssen bei einer solchen Erwerbungsreise in kürzester Zeit große Mengen an Medien durchgeprüft werden – und das oftmals an Orten, die über keinen herkömmlichen Arbeitsplatz verfügen, bspw. in den Buchhandlungen. Wenn man dann über mehrere Stunden buchstäblich über dem Laptop gehangen und überprüft hat, welche Medien im IAI bereits zur Verfügung stehen, dann macht sich das abends durch Nacken- und Rückenschmerzen bemerkbar. Speziell in Bogotá, das ja ca. 2640 Meter über dem Meeresspiegel liegt, kommt noch die Belastung durch die Höhe hinzu: Zwar blieben wir glücklicherweise von der Höhenkrankheit verschont, doch trotzdem war ich schneller außer Atem als gewohnt. Herausfordernd ist auch der zeitliche Rahmen: Die Erwerbungsreise ist stets auch ein Wettlauf mit der Zeit: Schaffen wir es, in der knappen Zeit das große Angebot zu sichten? Das Angebot der Buchmesse war dieses Jahr viel größer als erwartet – da muss dann schnell entschieden werden, was noch geprüft werden kann und was nicht.
Apropos Buchmesse – dort werden ja nicht nur die Neuerscheinungen vorgestellt, sondern auch neue Trends, beispielsweise im Verlagswesen, erkennbar. Welche Tendenzen ließen sich bei der diesjährigen 32. Feria Internacional del Libro de Bogotá ablesen?
Im Vergleich zu den vorherigen Buchmessen scheint die FILBo nicht etwa zu schrumpfen, sondern eher weiter zu expandieren. Mittlerweile möchten wirklich alle, auch kleine Verlage, Buchhandlungen und Institutionen aus allen Departamentos, mit einem Stand vertreten sein. Es wurde zudem erkennbar, dass e-books vermehrt an Bedeutung gewinnen. Haben Verlage in Kolumbien zuvor auf das gedruckte Buch gesetzt, so haben die größeren kommerziellen Verlage zunehmend auch e-books im Angebot. Diese neue Entwicklung ist für den Fachinformationsdienst Lateinamerika, Karibik und Latino Studies besonders interessant, da dieser eine engere Zusammenarbeit mit kommerziellen Verlagen im Bereich der e-Medien plant.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Reise aus vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg war?
Definitiv! Letztlich konnten wir in dieser Woche um die 6000 Medien erwerben, die in Deutschland bislang noch nicht zur Verfügung standen und die nun nach und nach in den Bibliotheksbestand eingearbeitet werden. Besonders freuen wir uns über die oben erwähnten über 240 Comix und Fanzines, die in ihrer Bildsprache und gestalterischen Form ungemein vielfältig sind und die bereits vorhandenen IAI-Bestände in diesem Bereich sehr gut ergänzen werden.
Vielen Dank, Britta, für dieses Interview und die spannenden Einsichten!
Interview von Annika Hartmann mit Britta Steinke ( 9.5.2019).