Jetzt zur Weihnachtszeit hat sie wieder Hochsaison – die Rede ist hier nicht etwa von den kleinen weihnachtlichen GIFs und Videos, die derzeit über die bekannten Messenger-Dienste wie WhatsApp, Instagram oder Telegram kursieren, sondern von der alt bewährten Postkarte, die dieses Jahr ihren 150. Geburtstag feiert.
Seine Weltpremiere hatte dieses originelle und vielfältige Kommunikationsmedium in Österreich, wo es – noch unter dem Namen „Correspondenz-Karte“ – am 1. Oktober 1869 offiziell eingeführt wurde. Einmal erlaubt, wurde die Postkarte bald breit rezipiert, allein im ersten Jahr verkaufte die österreichische Post drei Millionen dieser neuen «Correspondenz-Karten»– und das aus gutem Grund. Sie erfüllten nicht nur das Bedürfnis nach einem einfacheren, rascheren Informationsaustausch, sondern revolutionierten auch die Art und Weise, sich schriftlich auszudrücken. Denn die Schreiberwartung an den Stil des Versenders war sehr viel geringer als bei einem Brief. Auch deshalb kann sie durchaus als WhatsApp des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden.
In Preußen, wo die Idee zur Postkarte ursprünglich entstanden war, reagierten die Verantwortlichen zögerlicher. Datenschutz war bereits im 19. Jahrhundert ein Thema, so wurde befürchtet, dass bei dieser „unanständigen Form der Mitteilung auf offenem Postblatt“ Nachrichten in die falschen Hände geraten könnten. Zu diesen datenschutzrechtlichen Bedenken gesellte sich die Sorge um Sittenverfall und Verrohung der deutschen Sprache, die mit der Einführung der Postkarte einhergehen könne. Wurde der erste Vorschlag zur Postkarte abgelehnt, so entschloss man sich nach dem schnellen Erfolg schlussendlich doch dazu, dieses neue Kommunikationsmittel auch in den preußischen Ländern anzubieten. Preußen folgten bald auch andere europäische Länder wie Großbritannien, wo die Postkarte ab dem 1. Oktober 1879 verkauft wurde. Auch Kanada als erstes außereuropäisches Land übernahm die Postkarte bald darauf. Das neue Medium fand jedoch nicht nur weltweit Verbreitung, sie änderte auch rasch ihr Aussehen. Wurden zunächst reine Textnachrichten vermittelt, so entwickelte sich die Karte bald zum populären Bildträger. Adresse und Text rückten auf einer Seite zusammen, auf der anderen fanden sich Zeichnungen und Fotografien, zunächst in schwarz-weiß, aber ab den 1880er Jahren auch koloriert.
Auch in Lateinamerika erfreute sich die Bildpostkarte ab den 1890er Jahre großer Beliebtheit. Produziert wurden die in Lateinamerika vertriebenen Karten in der Anfangszeit noch in Deutschland, das sich als eines der Zentren für die Herstellung der beliebten Postkarten etabliert hatte. Deutsche Forscher und Reisende erwarben dann in Lateinamerika die Karten, die in Deutschland nie im Handel zirkulierten, und brachten diese wieder zurück nach Europa. Doch auch in den urbanen Zentren Argentiniens, Chiles, Perus und Brasiliens florierte die Postkartenproduktion bald darauf. Beispielsweise in Buenos Aires fertigten die großen Verleger, darunter der Österreicher Roberto Rosauer und der Deutsche Jacobo Peuser, bis zu den 1920er Jahren über 6000 Bildpostkarten an. Die oftmals pittoresken Motive lieferten beispielsweise Fotografen, die vom neuen Postkartenboom profitierten. So vertrieben bedeutende Fotografen aus Lateinamerika wie Hugo Brehme (Mexiko), Marc Ferrez (Brasilien) oder Max T. Vargas (Peru) ihre Aufnahmen auch als Postkarten. Doch auch Lateinamerikaforschende, wie der in Argentinien tätige Anthropologe Robert Lehmann-Nitsche, steuerten Motive bei. Letzterer gab Bilder, die er für wissenschaftliche Zwecke aufgenommen hatte, mit den bonarensischen Velegern auch als Bildpostkarten heraus. Doch nicht nur für die Popularisierung von Wissen, auch als Hilfsmittel für die eigene Forschung kam die Postkarte zum Einsatz: Forschende schätzten das neue Medium und setzten es im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeiten als Wissensträger und Bilddokumentation ein. Die Postkarte war also stets mehr als ein beliebtes Souvenir von Reisenden.
Unser Bewusstsein für die Bedeutung von historischen Postkarten als wissenschaftliche Bildquelle ist erst in den letzten Jahren geschärft worden. Gerade für den Zeitraum zwischen 1880 und 1920, als die Fotografie nur wenig verbreitet war, stellen sie jedoch bedeutende historische Quellen dar, mithilfe derer die Geschichte der Fotografie und Stadtentwicklung untersucht oder Fragen der Repräsentation, Manipulation und Zirkulation von Wissen und Objekten nachgegangen werden kann. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise die im Jahr 2019 erschienene Studie von Hinnerk Onken zu Fotografien und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich (1880-1930) genannt werden.
Wie lange uns die Postkarte in Zukunft weiter als Kommunikationsmittel – und nicht nur als historisches Untersuchungsobjekt – begleiten wird, ist offen. Allerdings hält sie sich hartnäckig – und das, obwohl sie mittlerweile mit zahlreichen digitalen Messenger-Diensten konkurriert. Dies mag auch daran liegen, dass sich eine WhatsApp-Nachricht nur schwerlich an die Pinnwand heften oder sammeln lässt. Die Postkarte und ihre Entstehungsgeschichte können Sie übrigens im Deutschen Kommunikationsmuseum in Berlin bewundern: Noch bis zum 5.1.2020 läuft dort die Ausstellung „Mehr als Worte, 150 Jahre Postkartengrüße“. Die Postkartensammlung im Ibero-Amerikanischen Institut steht Ihnen indes ganzjährig zur Verfügung. Über 2400 Postkarten aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern stehen in der Fotothek des Ibero-Amerikanischen Instituts für Interessierte zur Verfügung. Zahlreiche Postkarten finden sich zudem in den Nachlässen von beispielsweise Walter Lehmann, Robert Lehmann-Nitsche, Eduard Seler oder Max Uhle, die eifrig Postkarten aus Lateinamerika sammelten und aufbewahrten.
Kurzentschlossene Postkartenschreiber*innen, die wenige Tage vor Weihnachten noch Postkarten an Freunde und Familie verschicken wollten, hatten es übrigens Ende des 19. Jahrhunderts leichter als heute. Denn dank der Postdampfer kamen die schriftlichen Festtagswünsche wesentlich schneller beim Adressaten/bei der Adressatin an. Um pünktlich Weihnachtsgrüße in die Welt zu senden, wählen viele heute den digitalen Weg. So auch wir: Das Team des FID Lateinamerika, Karibik und Latino Studies wünscht Ihnen frohe Feiertage und ein glückliches Jahr 2020!
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