Es ist eines der meistverkauften Bücher der Welt (140 Mio. Exemplare) und das, obwohl es ausgerechnet von einem Piloten geschriebenen wurde, der lediglich nebenbei ein wenig «schriftstellerte». Es geht natürlich um Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz (1943). Der Roman gehört aber nicht nur zu den Verkaufsschlagern der Weltliteratur, sondern auch zu den am meisten übersetzten (laut Wikipedia sind es 301 Spachen und Dialekte). Seit letzter Woche verfügt das IAI auch über eine Reihe neuer Übersetzungen in minorisierte oder weniger bekannte Sprachen (alles Editionen des Tintenfass-Verlags).
Die erste Fassung, die hier vorgestellt werden soll, ist vor allem ein politisches Statement: El Little Príncipe ist in einer Sprache verfasst, die (noch) nicht kodifiziert ist, obwohl sie Millionen Sprechende vorzuweisen hat. Der Übersetzer Ilan Stavans ist Publizist und u.a. Autor von Spanglish : The Making of a New American Language (erstmals erschienen 2002, dazu auch dieser Vortrag). Sein Werk ist – wie seine Übersetzungen von Don Quijote oder Hamlet auch – eine Kritik an einem nur von Purismus und Elitismus geleitetem Sprachverständnis, das in diesem speziellen Falle durch Rassismus auch noch eine zusätzliche Qualität der Abwertung erhält («in the mid-seventies, Spanglish was derided as a ‘language of dogs’» liest man z.B. im Vorwort des Kleinen Prinzen). Es geht ihm aber auch darum neuen Gruppen von Lesenden Zugang zu den Klassikern zu ermöglichen und gleichzeitig zu beweisen, dass nicht nur die etablierten Kultursprachen Vehikel von Weltliteratur sein können. Nicht zuletzt erinnert El Little Príncipe daran, dass schon bald die größte spanischsprechende Community in den U.S.A. leben wird, wodurch auch das Spanglish ein größeres Gewicht erhalten und mit Sicherheit das «internationale Spanisch» beeinflussen wird.
Seltsam vertraut und doch anders
Mit Te kleene Prins und Dai klair prins sind auch zwei Sprachen vertreten, die wahrscheinlich als Dialekte des Deutschen bezeichnet würden, würden ihre Sprecher:innen in der Bundesrepublik leben. Die erste ist das sog. «Hunsrik» (Hunsrückisch) und die zweite «Pom(m)erisch«, beide in Südbrasilien von den Nachfahren deutscher Auswanderer:innen gesprochen.
Daher klingen einige bekannte Textstellen auch seltsam vertraut: «Mool mich en xoof» («Zeichne mir ein Schaf» auf Hunsrückisch) oder «Dat weesentlig is unsichtbår for dai oogen» («Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar» auf Pommerisch).
Rettungsversuch
Von den 2.000 Sprachen, die einst auf dem amerikanischen Kontinent gesprochen wurden, haben bekanntlich nur sehr wenige bis in die Gegenwart überlebt. Selbst jene, die noch gesprochen werden, stehen meist immer noch in starker Konkurrenz zu den (europäischen) Amtssprachen und zeigen häufig keine mutmachenden Vitalitätswerte.
Umso wichtiger ist es, möglichst viel Material in den verbleibenden indigenen Sprachen zu verschriftlichen und zu sammeln. Pessimistisch gesprochen, können so diese Sprachen wenigstens für die Nachwelt konserviert werden. Optimistischer betrachtet, könnte eine gesteigerte Literaturproduktion und -rezeption auch zu einer Aufwertung der moribunden Sprachen führen, sodass Eltern sie wieder vermehrt an ihre Kinder weitergeben.
Zu unseren Neuzugängen im Bereich der indigenen Sprachen gehören Bulu’ alà in der Sprache Bribri (Costa Rica) sowie Ri ch’uti’ ajpop und Chan ajau in zwei Maya-Varietäten (jeweils Kaqchikel und yukatekisches Maya). Über die Ausgabe in Otomí, wurde bereits in diesem Blogbeitrag berichtet.
Inselsprachen und Sprachinseln
Für Sprachwisseschaftler:innen besonders interessant sind Kreolsprachen, da an ihnen Mechanismen des Sprachkontakts, -erwerbs und -wandels besonders gut beobachtet und beschrieben werden können. Aber auch außerhalb der Akademie konnten einige Kreolsprachen eine beachtliche Reichweite entwickeln. Das ist z.B. der Fall des Kapverdischen, das durch Cesária Évora weltweit bekannt und geschätzt werden konnte. Wir freuen uns daher Prispinhu zu unserem kapverdischen Bestand hinzugewonnen zu haben.
Aber auch weniger bekannte Vertreter konnten wir erwerben: El Príncipe Niño im philippinischen Chabacano/Chavacano/Zamboangueño und Rey Siñu im casamancischen Kreol (Senegal). Erstere ist – wie die Geschichte des Archipels und natürlich der Titel der Übersetzung nahelegt – eine Kreolsprache auf spanischer Basis. Letztere ist hingegen ein Relikt von Sprachkontakten mit dem Portugiesischen und erinnert daher in vielen Aspekten an das Kapverdische. Zum Vergleich noch einmal die oben bereits einmal bemühte Textzeile: «Dizenhâ-m karnéru» (pt. Desenha-me um carneiro) im Kapverdischen, «Pintá-m karnedu» (pt. Pinta-me um carneiro) im Casamancischen.
Something old, something new…
Weitere echte «Exoten» auf dem Buchmarkt sind die Ausgaben in Ladino und Mozarabisch. Beide Sprachen sind in demselben Kontext entstanden, nämlich auf der Iberischen Halbinsel während der muslimischen Herrschaft. Ladino wird auch als Djudeo-Espanyol bezeichnet und war die Alltagssprache der sephardischen Juden. Nach ihrer Vertreibung wurde die Sprache in der Diaspora weiter gepflegt und konnte vor allem in Regionen des ehemaligen osmanischen Reichs bis heute erhalten bleiben. Auch in Israel existiert eine Ladino-Community, für welche die staatliche Rundfunkanstalt z.B. Programme sendet (s.u.). El Princhipiko ist sowohl in lateinischer, als auch hebräischer Schrift verfasst.
Die mozarabische Übersetzung hingegen ist ausschließlich im lateinischen Alphabet geschrieben, wahrscheinlich um Uneingeweihten den Zugang zu erleichtern. Mozarabisch ist keine arabische Sprachvarietät, sondern eine romanische Sprache, in vielerlei Hinsicht konservativer als die heutigen iberischen Sprachen und somit gewissermaßen dem Lateinischen näherstehend als beispielsweise das Spanische.
Da in dieser schon in der frühen Neuzeit ausgestorbenen (bzw. an die modernen iberischen Sprachen assimilierten) Sprache nur sehr wenige Dokumente überliefert sind und diese auch noch im arabischen Alphabet – also ohne Vokale! – verfasst sind, darf Elli Amirellu (vgl. ʾamīr = ar. Prinz) keineswegs als authentische Wiedergabe, sondern muss wohl eher als sprachwissenschaftliche «Spielerei» gelesen werden.
Ob nun Spielerei oder ernsthaftes wissenschaftliches Interesse: Beides sind Gründe sich einmal die Übersetzungen anzusehen. Und alle, die sich noch ein bisschen tiefer in die jeweilige Materie einlesen möchten, kommen im IAI natürlich auch auf ihre Kosten. ↓
Literaturvorschläge
Stavans, Spanglish, Latino Studies
Eggert, E. / Bosshard, M. T. / Morgenthaler García, L. Zonas de contacto en el mundo hispánico : Enfoques interdisciplinarios. Frankfurt a. M. : Lang, 2019. (Online-Ressource)
Guzzardo Tamargo, R. E. / Mazak, C. / Couto, M. C. P. (Hrsg.). Code-switching in the Caribbean and the US. Amsterdam (u.a.) : John Benjamins Publishing Company, 2016. (Online-Ressource)
Rosa, J. Looking like a language, sounding like a race : raciolinguistic ideologies and the learning of Latinidad. New York, NY : Oxford University Press, 2018. (Online-Ressource)
Stavans, I.. Latinos in the United States : What everyone needs to know. New York, NY : Oxford University Press, 2018. (Online-Ressource)
Stavans, I. / Jaksić. What is la hispanidad? A conversation. Austin : University of Texas Press, 2011.
Hunsrückisch und Pommerisch
Altenhofen, C. V. / Steffen, J. / Thun, H. Cartas de imigrantes de fala alemã : pontes de papel dos hunsriqueanos no Brasil. São Leopoldo, RS : OIKOS Ed., 2018.
Azambuja, L. I. B. Língua alemã : um legado dos imigrantes alemães para Santa Cruz do Sul – RS. Santa Cruz do Sul : EDUNISC, 2002.
Carreras, S. (Hrsg.). Identidad en cuestión y compromiso político : los emigrantes germanohablantes en América del Sur. Madrid : Iberoamericana; Frankfurt a.M. : Vervuert, 2019.
Gassen Kothe, M. Land der Verheißung : Die deutsche Auswanderung nach Brasilien 1890 – 1914. Rostock : Meridian, 2003.
Schulze, F. Auswanderung als nationalistisches Projekt : «Deutschtum» und Kolonialdiskurse im südlichen Brasilien (1824-1941). Köln (u.a.) : Böhlau, 2016.
Indigene Sprachen
Bricker, V. R. A Historical Grammar of the Maya Language of Yucatan : 1557-2000. Salt Lake City : The University of Utah Press, [2019].
Gabriel Xiquín, C. La cosmovisión maya y las mujeres : aportes desde el punto de vista de una ajq’ij (guía espiritual) kaqchikel. Guatemala : Ed. Cultura, 2008.
Jara Murillo, C. V. / García Segura, A. Se’ ttö́ bribri ie / Hablemos en bribri. San José : Programa de Regionalización Interuniversitaria CONARE, [2013].
Montemayor Gracia, J. Indigene Sprachen in Mexiko : Eine sprecherzentrierte Studie zur Vitalität des yukatekischen Maya. Berlin (u.a.) : de Gruyter, [2017].
Ochoa Nájera, J. D. Las lenguas de Chiapas. Tuxtla Gutiérrez, Chiapas : Consejo Estatal para las Culturas y las Artes de Chiapas ; San Cristóbal de las Casas, Chiapas : Centro Estatal de Lenguas, Arte y Literatura Indígenas, 2015.
Rojas Conejo, D. Indigene Kulturidentität im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne : der Fall des Bribri-Volkes in Costa Rica. Marburg a. d. Lahn: Förderverein «Völkerkunde in Marburg» c/o Inst. für Vergleichende Kulturforschung, Fachgebiet Völkerkunde, 2007.
Kreolsprachen
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Cardoso, H. C. / Baxter, A. / Nunes, M. P. Ibero-Asian Creoles : Comparative Perspectives. Amsterdam (u.a.) : Benjamins, 2012.
Fernández, M. / Fernández-Ferreiro, M. / Vázquez Veiga, N. Los ciollos de base ibérica : ACBLPE 2003. Madrid : Iberoamericana; Frankfurt a.M. : Vervuert, 2004.
Ribeiro, M. / Jorge, S. R.: Literaturas insulares : leituras e escritas de Cabo Verde e São Tomé e Príncipe. Porto : Afrontamento, 2011.
Timbane, A. A. / Balsalobre, S. R. G. (Hrsg.). Língua portuguesa em África : políticas linguísticas e crioulos em debate. Lisboa : AULP, Associação das Universidades de Língua Portuguesa, 2017.
Ladino und Mozarabisch
Barletta, V. Covert gestures : crypto-Islamic literature as cultural practice in early modern Spain. Minneapolis, Minn. [u.a.] : Univ. of Minnesota Press, 2005.
Bürki, Y / Romero, E. (Hrsg.). La lengua sefardí : aspectos lingüísticos, literarios y culturales. Berlin : Frank & Timme, [2014].
Corriente, F. Romania arábica : tres cuestiones básicas : arabismos, «mozárabe» y «jarchas». Madrid : Ed. Trotta, 2008.
Díaz Mas, P. / Martín Ortega, E. (Hrsg.) Mujeres sefardíes lectoras y escritoras, siglos XIX-XXI. Madrid : Iberoamericana ; Frankfurt am Main : Vervuert, [2016]
Şaul, M. Judeo-Spanish in the Time of Clamoring Nationalisms. Istanbul : Libra Kitapçılık ve Yayıncılık, 2013.