Federico García Lorca war sicher vieles: Folkloristischer Dichter, Vertreter der spanischen Avantgarde, linke Ikone und Opfer des faschistischen Regimes in Spanien. In diesem Beitrag soll es allerdings schwerpunktmäßig weder um sein Werk, seine politischen Positionen noch um seine Ermordung durch Falangisten 1936 gehen. Zum Pride-Monat möchten wir uns einem Aspekt seiner Person widmen, der lange Zeit bewusst und aktiv geheim gehalten wurde, obwohl er Leben und Werk des Dichters nachhältig geprägt hat: seine Homosexualität. Der bedeutendste Lorca-Biograph Ian Gibson hat viel zum Thema geschrieben, so wie Lorca y el mundo gay, das wir jüngst für unseren Bestand erwerben konnten.
Deckblatt von Lorca y el mundo gay (2009) von Ian Gibson.
In Dalí : El amor que no pudo ser erzählt Gibson von der innigen Freundschaft, die Salvador Dalí und García Lorca (zumindest für eine Zeit) verband. Allerdings hat sich Dalí im Nachhinein abfällig über Lorcas «Avancen» geäußert. Gegen Ende der 1920er Jahre kühlte sich die Beziehung merklich ab und wurde weiter durch Differenzen in Bezug auf Lorcas künstlerische Vision verkompliziert, in die dann auch noch der ehemalige «Dritte im Bunde», der surrealistische Filmemacher Luis Buñuel, mit einstimmte. Nach der Premiere von Buñuels Un chien andalou (1929) soll García Lorca gesagt haben der «andalusische Hund», der gemeint sei, sei er selbst.
Foto von García Lorca und Dalí.
Neben Dalí sind auch andere romantische Verbindungen bekannt, z.B. mit dem eher wenig bekannten Bildhauer Emilio Aladrén Perojo – auch wenn dieser möglicherweise nur aus strategischen Gründen Lorcas Nähe gesucht hat – oder dem linken uruguayischen Dichter Enrique Amorim. Um die Beziehung mit Letzterem ranken sich bis heute Mythen, wie z.B. dass er hinter dem Denkmal, das er für García Lorca im uruguayischen Salto eingeweiht hat, heimlich die Gebeine des berühmten Spaniers bestattet haben soll.
Foto von Aladrén Perojo und García Lorca.
Während der Franco-Diktatur unterlagen García Lorcas Werke einem grundsätzlichen Verbot. Sonetos del amor oscuro, das explizit homoerotischste seiner Werke, wurde jedoch selbst nach der Redemokratisierung nicht veröffentlicht und zirkulierte nur für kurze Zeit innerhalb seines Bekannten:innenkreises. Es galt lange als verschollen, bis 1983/4 ein anonymer Lorquista, auf der Grundlage eines Entwurfs, illegal eine erste Ausgabe drucken ließ, zunächst nur unter dem neutralen Titel „Sonetos“. Ein vollendetes Manuskript wurde bis heute nie gefunden. Auch in der Rezeption des Werks wurde es lange Zeit vermieden die Sexualität des Dichters zu thematisieren. Einige zaghafte Versuche wurden häufig sofort von Zeitgenossen:innen als Diffamierung bezeichnet. Dies ist nicht nur auf die konservative und tenenziell homofeindliche Grundhaltung der damaligen (spanischen) Gesellschaft zurückzuführen, sondern auch auf den Widerstand von García Lorcas Familie. Selbst unter seinen Geschwistern war das Thema lange Zeit tabu.
Auch aus seinen Zeichnungen schimmert immer wieder die Auseinandersetzung mit sexueller Identität hindurch. Zeichnung mit dem Namen „Amor desesperado“ (1929).
Aus eigenen Briefen und Berichten jener, die ihm nahestanden, ist bekannt, wie sehr García Lorca unter seiner Homosexualität gelitten hat. Neben den unglücklichen Beziehungen, setzte ihm vor allem die ständige Notwendigkeit der Geheimhaltung zu. Die fehlende Erfüllung in der Liebe und die konstante Selbstüberwachung bzw. die Angst vor der Enthüllung «seines Geheimnisses» führten zu einem allumfassenden Gefühl der Einsamkeit, die – man könnte meinen – einem in jeder Ablichtung entgegenschlägt.
«Amó mucho, cualidad que algunos superficiales le negaron. Y sufrió por amor, lo que probablemente nadie supo.»
Aus dem Nachruf «Federico» von Vicente Aleixandre, 1937 in El Mono Azul erschienen.
García Lorca ist sicher ein prominentes und tragisches, aber längst nicht das einzige Beispiel für Menschen, die aufgrund gesellschaftlicher Zwänge nicht nur kein persönliches Glück finden, sondern womöglich nicht einmal ihr volles Talent ausschöpfen konnten, weil ihnen wesentliche Erfahrungen und Ausdrucksmöglichkeiten verwehrt blieben. Dass sich die Dinge geändert haben, beweist auch die Tatsache, dass wir diesen Beitrag überhaupt veröffentlichen (können). Dennoch dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, am Endpunkt einer positiven Entwicklung angelangt zu sein, in der immer noch stark patriarchal organisierten iberoamerikanischen Welt genauso wie anderswo. Dieser Beitrag ist daher auch allen weniger sichtbaren Personen gewidmet, die selbst mit systemischen Widerständen zu kämpfen haben, sowie all jenen, die sich aktiv gegen Diskriminierung und für eine gerechtere Welt einsetzen .
Die von Daniel Quasar entworfene sogenannte „Progress Pride Flag“, die explizit die Kämpfe von BIPoC (Black, Indigenous and People of Colour) und Transsexuellen visuell auf er „Regenbogenflagge“ verankert.
Abschließend noch die kleine Randnotiz, dass Leonard Cohen – der auch Vertonungen von Lorcas Texten gemacht hat – seiner Tochter den Vornamen Lorca gegeben hat. Lorca Cohen hat selbst eine Tochter (Viva), die wiederum selbst zwei Väter hat, Rufus Wainwright und dessen Partner Jörn Weisbrodt.
Musikalischer Tribut von Leonhard Cohen an Federico García Lorca in Form des Songs Take this waltz (1986).
Thematische Literaturauswahl
Altmann, Werner. 2002. Der Schmetterling, der nicht fliegen konnte: Federico García Lorca. Hamburg: MännerschwarmSkript-Verl.
García Lorca, Federico. 2001. Antología de la poesía homosexual y cósmica de Federico García Lorca. Prólogo y análisis arquetípico de Fredo Arias de la Canal. México, D.F. : Frente de Afirmación Hispanista.
Manrique, Jaime. 1999. Eminent maricones: Arenas, Lorca, Puig, and me. Madison, Wis. : Univ. of Wisconsin Press.
Roncagliolo, Santiago. 2012. El amante uruguayo: una historia real. Alcalá la Real, Jaén : Alcalá Gripo Ed..
Sahuquillo, Angel. 2007. Federico García Lorca and the culture of male homosexuality. Jefferson, N.C.: McFarland.
Urrea, Beatriz. 1997. «Silencio, amor y muerte: el homosexual y la mujer en la obra de Federico García Lorca«. Bulletin of Hispanic studies, Vol. 74, Nr. 1, S. 37-58.
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