Heute findet bereits zum 9. Mal der Deutsche Diversity-Tag (DDT) statt! An diesem von der Charta der Vielfalt e. V. initiierten Aktionstag tragen unterschiedlichste Organisationen den Vielfaltsgedanken in die Arbeitswelt. Speziell für diesen Tag hat die gesamte Belegschaft des IAI eine Auswahl von Bestandsmaterialien mit persönlichen Empfehlungen zusammengestellt, die in besonderer Weise Diversität thematisieren und die wir in der Folge einmal präsentieren möchten. Die Materialien sind dabei selbst höchstvielfältig, was Sprache, Format, Konzeption und natürlich Inhalt angeht. Wir hoffen auf diese Art unseren bescheidenen Beitrag zu leisten, da auch wir vom verbindenden Moment der Vielfalt überzeugt sind.
Jarid Arraes
Auswahl von Cordel-Heften von Jarid Arraes. Von links nach rechts: (1) Lave suas cueca, (2) Miss Catrevagem, (3) Não me chame de mulata, (4) O casamento de Juma e Luma, (4) Travesti não é bagunça.
«Jarid Arraes ist eine junge brasilianische feministische Autorin, die sich auf einem ansonsten männlich dominierten Territorium tummelt, nämlich dem der Cordel-Literatur. Dabei sind ihre Themen fernab von traditioneller Folklore; stattdessen greift Jarid Arraes humorvoll Genderfragen auf, indem sie das klassische Frauenbild angenehm auf den Kopf stellt und dabei besonders den schwarzen Frauen huldigt.»
Wir empfehlen z.B. die Reihe Heroínas Negras do Brasil («Schwarze Heldinnen Brasiliens»), in unserem Bestand sowohl als einzelne Cordel-Hefte, als auch als gebundene Fassung vorhanden.
Heroínas Negras do Brasil von Jarid Arraes. Oben, von links nach rechts: (1) Na Agontimé, (2) Tereza de Benguela, (3) Tia Ciata, (4) Maria Firmina dos Reis. Unten, von links nach rechts: (5) Zacimba Gaba, (6) Zeferina, (7) Tia Simoa, (8) Mariana Crioula.
Gebundene Fassung von Heroínas Negras do Brasil von Jarid Arraes.
Pepe traut dem Frieden nicht (Frederik Hetmann)
«Frederik Hetmann ist das Pseudonym von Hans-Christian Kirsch. Er hat eine Vielzahl von Büchern für Erwachsene und für Jugendliche veröffentlicht, darunter Biographien z.B. von Rosa Luxemburg und Che Guevara und Märchensammlungen indigener Völker. „Pepe traut dem Frieden nicht“ enthält zwei Erzählungen über Latinos in den USA, die unter ökonomisch schwierigen Bedingungen leben und täglichen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Die dritte Erzählung handelt von einer Navaho-Familie und ihrem Leben in einem Reservat. […] Frederik Hetmann schreibt wie in einem Sachtext nüchtern und ohne jede Larmoyanz. Er beschönigt nichts und seine direkte Sprache lässt den Alltag direkt miterleben.»
Decklbatt von Pepe traut dem Frieden nicht von Frederik Hetmann.
Ioshua
«Ioshua (wirklicher Name: Josue Marcos Belmonte), geb. 1982 (2015 viel zu früh gestorben), argentinischer homosexueller Poet und Künstler. Für diejenigen im IAI, die seine Werke katalogisiert haben, ist seine Kunst zu sehr Hardcoreporno […] es gab sogar Stimmen, seine Werke unter Verschluss zu stellen»
Deckblatt von Los sentimientos von Josue Belmonte alias Ioshua.
Unvorbereitete Leser:innen könnte der Inhalt so mancher Werke von Ioshua (z.B. Cumbia Gei) möglicherweise tatsächlich schockieren, insofern sei hier eine Art Triggerwarnung ausgesprochen. Wir möchten aber dennoch dazu anregen darüber nachzudenken, inwieweit eine Sozialisierung, die Themen rund um Sexualität stets tabuisiert und bestenfalls in den engsten Kreis der Intimität verbannt, dazu beitragen kann, (sexuell) selbstbestimmte Bürger:innen hervorzubringen. Außerdem ließe sich im Zuge dessen auch diskutieren, warum beispielsweise die Objektifizierung von Frauenkörpern in der Werbesprache weniger die Gemüter erhitzt, als die künstlerische Produktion eines homosexuellen Mannes, deren provokatives Element ja auch als Statement gelesen werden muss.
Deckblatt von Yo no hice nada von Josue Belmonte alias Ioshua. Es handelt sich hierbei um ein Beispiel für sog. literatura cartonera.
Comic-Ausschnitt aus Yo no hice nada von Josue Belmonte alias Ioshua.
Rosinha, minha canoa (José Mauro de Vasconcelos)
«Der Autor von ‘Rosinha minha canoa‘ ist mit seinen vielen Kinder- und Jugendbüchern weltweit bekannt. Seine Texte wurde in zahlreiche Sprachen, u.a. ins Deutsche und Türkische übersetzt […] José Mauro de Vasconcelos war selbst indigener Herkunft. Seine Bücher schildern den Alltag und die Erlebnisse von Kindern aus indigenen oder afroamerikanischen Familien, die in prekären Verhältnissen aufwachsen und am Rand der brasilianischen Gesellschaft stehen. […] José Mauro de Vasconcelos‘ Bücher sind voller belebter Dinge, es sprechen das Kanu und die Bäume und die Tiere. Gleichzeitig wird dies aber nicht als Märchen dargestellt, sondern in den Alltag eingebettet»
Decklbatt von Rosinha, minha canoa von José Mauro de Vasconcelos.
Exilio (Elena Hochman)
«Die Gedichtsammlung von insgesamt 30 maschinengeschriebenen Blätter unter dem Titel „Exilio“ entdeckte ich im Bestand des IAI, als ich über das Denken und Wirken der nach Venezuela geflüchteten jüdischen Polin Elena Hochman (1940*) recherchierte und nur sehr wenige Spuren fand. Soziologin, Photographin, Dichterin, Übersetzerin, Mutter, Witwe: Elena Hochman ist in den institutionellen Archiven und Bestände wenig vertreten. Am Diversity-Tag möchte ich auf die wenig erforschten Rollen der Frauen in der intelectual history/history of ideas sowie auf die Notwendigkeit und Herausforderung neuer Methoden und Ansätze für die Forschung und Sichtbarmachung der Frauen als Intellektuelle aufmerksam machen.»
Die unscheinbar anmutende Mappe mit Gedichten von Elena Hochman.
Historia queer del flamenco : desvíos, transiciones y retornos en el baile flamenco (1808-2018) (Fernando López Rodríguez)
«Es handelt sich hierbei um eine Abhandlung zur Geschichte des Flamenco, in der u.a. dargstellt wird, wie – durch den heteronormierenden Druck des Franco-Regimes – ursprünglich queere also genderambige, -fluide und -experimentelle Elemente aus dem offiziellen Kanon getilgt wurden. Der Autor untersucht aber auch andere Grenzbereiche und Zwischenräume, geht z.B. Fragen von Körpernormativität im Tanz nach. In diesem Interview erzählt er außerdem, wie er selbst, als Wissenschaftler und als bailaor, diese historisch verklärte Freiheit von (Gender)Normen versucht wiederzubeleben und vor allem der jüngeren Generation von Tänzer:innen vielfältigere Ausdrucksmöglichkeiten mitzugeben. Ein gewisser persönlicher Bezug zum Thema besteht durch meine Mutter. Sie ist zwar eher spät aber dafür umso entschiedener ihrer Passion für den Flamenco nachgegangen. Ich erinnere mich noch, wie sie mir erklärte wie Männer tanzen – hart und zackig, alle Finger zusammengelegt und stets als Einheit bewegt – und wie Frauen tanzen – weich und fließend, die Finger gespreizt und einzeln bewegt – eben besonders «maskulin» bzw. «feminin». Dass es auch im Flamenco von Anfang an disruptive Elemente gab und dass ihm der starre Binarismus eher übergestülpt wurde, als er sich zum politischen Projekt entwickelte, hat mich ehrlicherweise überrascht.»
Deckblatt von Historia queer del flamenco : desvíos, transiciones y retornos en el baile flamenco (1808-2018) von Fernando López Rodríguez.
Los días del arcoíris (Antonio Skármeta)
«Aspekte der Diversität: politische Meinung und ziviler Widerstand, Lebensplanung und Zukunftsperspektive im Angesicht einer Diktatur, Exil. Der Roman basiert auf einer historischen Begebenheit (der „No“-Kampagne gegen die Fortsetzung der Herrschaft Pinochets) und beschreibt, wie Jugendliche mit dem Leben in einer Diktatur umgehen. Außerdem zeigt er, wie man mit Mut und unkonventionellen Mitteln das politische Geschehen beeinflussen kann. Der Roman entstand in Chile, ist aber geprägt vom jahrelangen Exil des Autors.»
Der Titel findet sich ebenfalls in deutschsprachiger Übersetzung (Die Tage des Regenbogens) in unserem Bestand.
Decklbatt von Los días del arcoíris von Antonio Skármeta.
Por la plata baila el mono
Hinter dem Titel verbirgt sich ein Theaterstrück der Dramaturgin Dinah E. Torrá, das in der Theaterzeitschrift Bambalinas (no. 273, 1923) erschienen ist.
«In unseren digitalen Sammlungen bin ich auf eine unbekannte argentinische Dramaturgin gestoßen. Die Theaterkritik auf der ersten Seite der Zeitschrift zeigt die Auswirkung ihres Werkes auf bestimmte Vorstellungen von ‘typisch weiblichen’ Merkmalen, das heißt eine Frau, die nur als ein passives und schönes Wesen betrachtet wird. Dinah Torrá bewies, dass Frauen auch fähig sind, hochwertige und kritische kulturelle Werke zu kreieren.»
Deckblatt von „Por la plata baila el mono“ von Dinah E. Torrá.
„Die Autorin wurde beklatscht, ihr Mut und ihre Beobachtungsgabe und Lebendigkeit im Dialog wurden zu Recht gelobt. Fräulein Torrá fehlt ein wenig die Synthesefähigkeit. Gott sei Dank, anderen fehlt es an Synthesefähigkeit und an Syntax. Es ist ein gut geschriebenes Werk, und wenn es notwendig ist, wie ein Verbrecher zu sprechen, macht die Autorin dem ungezügeltsten Sainete triumphale Konkurrenz.. ‚Kritik‘, Samstag 16 Juni 1923“.
„Es ist schwer vorstellbar, wie es möglich ist, dass ein weibliches Temperament den Typus jener Familienmutter geschaffen haben könnte, die den Geschäftssinn hat, mit allem zu handeln, womit sich handeln lässt, auch mit Töchtern, während in einem Zimmer ihre Tochter mit der Unmittelbarkeit stirbt, die der Todeskampf im Theater hat.“
La caída de los puntos cardinales (Luís Fayad)
«Das Buch erzählt von der Migration arabischer Familien nach Kolumbien zu Beginn des 20. Jahrhunderts und von ihrem Leben und ihrer Integration in ihrem neuen Aufenthaltsland. Die Geschichte ist sehr persönlich, sie erzählt die fiktive Geschichte meiner Urgroßeltern und ihrer Nachkommen und wie sich ihr Leben mit dem Alltag der Kolumbianer verflocht, bis die Unterschiede verwischten.»
El triunfo de Carmela (Artemio Precioso)
«In unserer Sammlung ‘Novela popular española de Fernando Eguidazu’ habe ich in der Zeitschrift Novela de hoy ein Cover entdeckt, auf dem zwei Frauen abgebildet sind, die sich küssen. Die Novela semanal (ab 1921) und die Novela de hoy (ab 1922) stehen für den Beginn der dritten Phase der Entwicklung des populären spanischen Romans, die dadurch gekennzeichnet war, dass Autoren exklusiv unter Vertrag genommen wurden, was erheblich zur Professionalisierung im Literaturgeschäft beitrug. […] Was ich allerdings beachtlich finde ist, dass die Zeitschriftenhefte mit ihren Covern für sich warben und dass man offensichtlich davon ausging, mit dieser Covergestaltung Leser:innen und Käufer:innen werben zu können.»
Deckblatt von El Triunfo de Carmela von Artemio Precioso.
Umalali : The Garifuna Women’s Project
«Bei dem musikalischen Sammlungsprojekt „Umalali – The Garifuna Women’s Project“ wurden die Lieder und Geschichten von Frauen aus Garifuna-Gemeinden in Belize, Honduras, Nicaragua und Guatemala aufgezeichnet, dokumentiert und über Zentralamerika hinaus zugänglich gemacht. Die Nachkommen afrikanischer Sklaven und indigenen Kariben kamen vermutlich im 17. Jahrhundert von der karibischen Insel St. Vincent an die mittelamerikanischen Karibikküste. Schwarze Menschen, ebenso wie indigene Gesellschaftsgruppen werden in den vornehmlich auf Weißsein konstruierten zentralamerikanische Gesellschaften immer noch entfremdet. Fehlende politische wie wirtschaftliche Unterstützung, Migration, Diskriminierung, das dort oftmals nur mangelhaft ausgebaute Schul- und Gesundheitssystem führ(t)en zu einer zunehmenden Marginalisierung der in diesen Gemeinden lebenden Menschen, die mittlerweile mit neuem Selbstbewusstsein darum kämpfen, ihre ethnische Identität sichtbar zu machen und Sprachen, Tanz und Musik der Garifuna-Gemeinden (Plural: Garinagu), die seit 2001 zum UNESCO Weltkulturerbe zählen, zu bewahren. Insofern macht „Umalali – The Garifuna Women’s Project“ die multiethnischen Gesellschaften und deren Geschichte(n) in Zentralamerika deutlich und steht meines Erachtens gerade auch deshalb für Vielfalt, da es Frauen, die oftmals in doppelter Hinsicht aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Identität marginalisiert werden, buchstäblich eine Stimme („Umalali“) gab. Die Initiative ging dabei zurück auf den jungen belizischen Musiker, Produzenten und Gründer des in Belize ansässigen Labels „Stonetree Records“ Ivan Duran, der bemerkte, dass zwar Männer aus Garífuna-Gemeinden im Vordergrund standen, allerdings Frauen die Texte und neuen Kompositionen von Garifuna-Liedern schaffen. Sie waren laut Duran auch diejenigen, die Sprache, Tanz und Musik an Kinder und andere Personen weitergaben. Besonders ist das Projekt auch, da die Lieder vor Ort – mithilfe eines kleinen Studios am Ufer der Karibikküste – aufgenommen wurde. Die Produktionsgeschichte ebenso wie die vielfältigen persönlichen Geschichten der Frauen wurden auf dieser CD festgehalten.»
Cover von Umalali : The Garifuna Women’s Project.
Interessierte verweisen wir außerdem auch auf den Aufsatz «Umaláli – Die Stimme der Garifuna Frauen : Garifuna Women’s Project und und Garifuna Collection auf Tournee» von Helga Woggon.
Teen trans : héroes sin identidad secreta (Leho de Sosa)
«Ein kurzes, starkes Manga über vier transexuelle Held:innen, die trotz Widerstand, ihre wahre Identität ausleben. Ich habe es ausgewählt, weil es das erste Transmanga Lateinamerikas ist und da es ein tolles und gut gelungenes Beispiel für die wichtige Aufgabe darstellt, alle Menschen und nicht nur die Norm in der Populärkultur abzubilden.»
In diesem Interview erklärt der Autor die Entstehungsgeschichte des Manga und erzählt von der eigenen Prägung durch Disney-Filme und Manga der 1980er Jahre. Das ursprünglich japanische Format sei sehr beliebt bei Jugendlichen, die Wahl sei aber auch deswegen gefallen, weil man die Hefte von rechts nach links lese, so wie das Leben selbst, fügt er augenzwinkernd hinzu.
Deckblatt von Teen trans : héroes sin identidad secreta von Leho de Sosa.
E-Book-Empfehlungen
Im Bereich der E-Books möchten wir zum Abschluss noch auf einige Publikationen aus der Latin American Studies Collection der Duke University Press verweisen. Zur Erinnerung: Registrierte Benutzer:innen des IAI können auch z.B. bequem vom heimischen Laptop aus auf E-Books aus unserem Bestand zugreifen.
- Glover, Kaiama L.: A regarded self : Caribbean womanhood and the ethics of disorderly being. Durham : Duke University Press, 2021.
- Gill, Lyndon K.: Erotic islands : art and activism in the queer Caribbean. Durham : Duke University Press, 2018.
- Nadia, Ellis: Territories of the soul : queered belonging in the Black diaspora. Durham : Duke University Press, 2015.
- Stephen, Lynn: Zapotec women : gender, class, and ethnicity in globalized Oaxaca. Durham, N.C. : Duke University Press, 2005.
- French, John D. / James, Daniel: The gendered worlds of Latin American women workers : from household and factory to the union hall and ballot box. Durham, N.C. : Duke University Press, 1997.
- Bergmann, Emilie L. / Smith, Paul Julian: ¿Entiendes? : queer readings, Hispanic writings. Durham : Duke University Press, 1995.
- Rodríguez, Ileana: House/garden/nation : space, gender, and ethnicity in post-colonial Latin American literatures by women. Durham, NC : Duke University Press, 1994.
Fehlt noch etwas?
Falls Sie noch von Werken wissen, die diese Liste sinnvoll ergänzen würden, die aber noch nicht in unserem Katalog vorhanden sind, machen Sie gern einen Erwerbungsvorschlag über dieses Formular. Wir werden den Vorschlag prüfen und – sofern das Werk in unser Sammlungsprofil passt – für die Benutzung erwerben. Wir sagen schon einmal vielen Dank im Voraus, bedanken uns aber auch herzlich bei allen Mitarbeitenden des IAI, welche diese Aktion überhaupt erst mögich gemacht haben.